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#6 // Kein Schlussstrich! Das bundesweite Theater-Projekt zum NSU-Komplex

Detailaufnahme von geschreddertem Papier mit einem gelben und blauen Filter überlagert und der Nummer #6 in der Mitte  ©JenaKultur, skop
Detailaufnahme von geschreddertem Papier mit Wort-Bild-Marke Kein Schlussstrich  ©JenaKultur, skop

Rassistische Gewalt in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen ist Alltag in der Bundesrepublik Deutschland. Vereinzelt sorgt sie für öffentliches Entsetzen, meist aber bleibt sie medial unbeachtet. Auf Jenaer Initiative hin hat sich ein Kooperationsnetz von Theatern und Institutionen aus 14 Städten zusammengeschlossen, um vom 21. Oktober bis 7. November 2021 gemeinsam das interdisziplinäre Theaterprojekt "Kein Schlussstrich!" zu realisieren – mit dem Anliegen, die Taten und Hintergründe des NSU künstlerisch zu thematisieren.

Beteiligt waren Personen in den Städten, die unmittelbar vom NSU-Komplex betroffen waren und sind: die Städte, in denen zehn Bürger:innen von Rassisten ermordet wurden. Auch jene Städte waren beteiligt, in denen die Täter:innen des NSU aufwuchsen, Aufenthalt oder Unterstützung fanden. Mit dem Vorhaben sollten die Perspektiven der Familien der Opfer und der migrantischen Communities in den Fokus der bundesweiten Öffentlichkeit gebracht werden: Mit Theateraufführungen, musikalischen Interventionen im öffentlichen Raum, Lesungen, Diskussionsveranstaltungen und Workshops stellte das Projekt Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit für die notwendige Auseinandersetzung mit dem institutionellen und strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft her.

Veranstaltungsrückblick

In einem Land, das die Verbrechen des NSU-Komplexes nie lückenlos aufgeklärt hat, in dem das Morden weitergeht und rechte Positionen als Meinung der Mitte der Gesellschaft verkauft werden, spielt die sogenannte "schweigende Mehrheit" eine wichtige Rolle in der Legitimation dieser Strukturen. Gerne wird mit dem Finger auf andere gezeigt, aber gemeint sind du und ich. Schweigen wir tatsächlich? Welche Rolle spielen wir in dieser Geschichte? Und was wäre, wenn Mut das Schweigen ersetzt? 

Diese Transformation hin zu einer widersprechenden Mehrheit wurde künstlerisch in drei Schritten vollzogen und jeweils unterschiedlich erfahren: 1) individuell 2) in Gruppen 3) als deutschlandweite Aktion. Jeder Teil funktionierte unabhängig voneinander, zusammen ergab sich ein größeres Bild.

(Un)Sichtbare Spuren (Premiere)

Audiovisueller Walk im Stadtraum – Teil 1
ab 21. Oktober 2021, Startpunkt: Volksbad Jena

Die Spuren des NSU sieht man schwer. Trotzdem sind sie da. Du findest sie an Gebäuden, beim Blick aus dem Fenster der Tram, hinter Gardinen oder im Kopf deines Gegenübers. Was sieht man, was will man (nicht) sehen? In "(Un)Sichtbare Spuren" bist du alleine in Jena unterwegs. In der Stadt hörst du in einer Mischung aus Interviews und Erzählung von Menschen, die von den verschiedensten Spuren in der Stadt erzählen. Während du dich durch Jena bewegst entscheidest du, ob du lieber Spuren hinterlassen oder (un)sichtbare Spuren suchen willst.

Deutschkunde 2021

Zweitägiges Panel – Teil 2
30./31. Oktober 2021, Stadtteilzentrum LISA & Volksbad Jena
Deutsch gemeinsam verlernen! "Deutschkunde 2021" ist Pflichtfach der Zukunft und freiwilliges Nachsitzen in Sachen Landeskunde. Jeder war herzlich eingeladen, sich einzubringen, zuzuhören, zu lernen und Wissen und Unwissen über Deutschland zu teilen. Aber Vorsicht: unsere Expert:innen stellten womöglich Perspektiven auf den Kopf. Denn der Stoff dieses performativen und interaktiven Unterrichts war all jenes, was wir mit der Muttermilch aufgesogen haben. Die Frage war: Bist du mutig genug, den eigenen Rassismus bis in die Kinderstube zu verfolgen? 

Die mutige Mehrheit

Analog-digitales Kettenbriefprojekt - Teil 3
Der dritte und gleichnamige Teil des Projekts "Die mutige Mehrheit" war ein analog-digitales Kettenbriefprojekt, das unterschiedliche Stimmen dazu einfing, wie wir unsere Zukunft einer mutigen Mehrheit gestalten wollen. Hier musste man Farbe bekennen und sich gegenseitig inspirieren.

Gesichter in dreieckigen Scherben ©NurBaute Berlin

28. Oktober & 7. November 2021, Volkshaus Jena

MANİFEST(O) vereinte sieben, an Schlüsselorten der Taten des NSU aufgeführte Einzelperformances in einem abendfüllenden Werk. Es entstand ein Manifest der grenzüberschreitenden Anwesenheit des Menschen, der Erinnerung und Hoffnung. Negative Energien der Verbrechen wurden aufgenommen, Grundfragen von Vergeltung und Neuanfang diskutiert und in einer ethischen Utopie verarbeitet. Sicht- und hörbar wurden Teile der in sieben verschiedenen Städten gleichzeitig stattfindenden Performances ins Volkshaus übertragen und mischten sich hier präzise koordiniert in das abendfüllende Oratorium, bei dem die Jenaer Philharmonie mit Orchester, zwei Chören sowie Solist:innen das musikalische Zentrum bildete.

Gesichter in dreieckigen Scherben ©NurBaute Berlin
Ritual der Reinigung

30. Oktober 2021, Marktplatz Jena

Die Unterdrückten, die Angegriffenen, die Missachteten, die Getöteten, die Nicht-Freien, es gibt sie überall. Sie sind verfolgt worden, hatten Angst, sind unsichtbar gemacht, sind bedrängt worden, sind hier und überall geboren, sind viele. Sie alle haben ein Recht auf Schutz, auf Gehör und auf Widerstand. Und das ohne Unterschied. Wie verarbeiten Menschen und Gesellschaften im 21. Jahrhundert die Folgen von Verbrechen des Menschen am Menschen? Wie reinigt sich eine Gesellschaft von untilgbarer Schuld und zurückbleibenden negativen Energien? Mit diesen Fragen setzte sich eine Gruppe von Künstler:innen in acht deutschen Städten, die vom Terror des sogenannten NSU besonders betroffen waren und sind, auseinander.

ALTAR DER RACHE ist Teil des polytopischen Oratoriums MANİFEST(O) von Marc Sinan. Mit Mirko Borscht, Jelena Kuljić, Mateja Meded und Volkan Terror.

Veranstaltet von JenaKultur. MANİFEST(O) wird im Auftrag des Licht ins Dunkel e.V. produziert durch die YMUSIC GmbH, Berlin und im Rahmen von "Kein Schlussstrich!" uraufgeführt.

Ausgestopfte Tiere in einem LKW ©Jan Dirk van der Burg

Premiere: 4. November 2021

Nach "Sladek oder Die Schwarze Armee" von Ödön von Horváth mit neuen Texten von Manja Präkels

Wir befinden uns in der Weimarer Republik, wir befinden uns in 2021. Der Ort ist ein Wald, ein Bunker, eine Stadt. Die Menschen dort heimgesucht von ihrer Vergangenheit oder geschichtsvergessen. Geschichte wiederholt sich und holt ein. Mit seinem Stück "Sladek" widmete sich Ödön von Horváth einem finsteren Kapitel der Weimarer Republik, der Schwarzen Armee. Diese paramilitärischen Ableger der Reichswehr waren frühe Indikatoren für die Gräuel, die im Dritten Reich folgen würden. Am Beispiel des Soldaten Sladek erzählt Horváth vom Verlust der Menschlichkeit und der furchterregenden Macht der Gruppe.

In Lizzy Timmers Inszenierung des Stoffs überlagert sich die historische Erzählung mit Vignetten der Gegenwart, Sladek wandert geisterhaft-grotesk durch die Zeiten, eingebunden in ein großes musiktheatrales Räderwerk der Geschichte und der Bilder.

Mit dem Ensemble des Theaterhauses Jena 

Regie: Lizzy Timmers / Fassung + Dramaturgie: Koen Tachelet / Bühne + Licht: Maarten van Otterdijk 

6. November 2021

Mit İdil Nuna Baydar und Gästen aus der Stadtgesellschaft

Veranstalter: Theaterhaus Jena im Rahmen von "Kein Schlussstrich!  – Ein bundesweites Theaterprojekt zum NSU-Komplex" im Auftrag des Licht ins Dunkel e.V.

Stadtrundgang

Antje Schupp Portrait

Audiovisueller Walk "(Un)Sichtbare Spuren"

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Interview

Marc Sinan im Interview

»MANİFEST(O)« – Komponist Marc Sinan im Interview

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